Mongolen-Sturm: So rettete Kamikaze Japan vor dem Untergang - WELT (2024)

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Neben Sushi, Sayonara, Koi und Judo ist Kamikaze eines der wenigen japanischen Wörter, deren Bedeutung man in Deutschland kennt. Es steht als Synonym für selbstmörderische Todesverachtung und wurde im Zweiten Weltkrieg allgemein gefürchtet und berühmt. Als während des Pazifikkrieges im Herbst 1944 die militärische Überlegenheit der US-Amerikaner nicht mehr zu übersehen war, griff die Führung Japans zu dem verzweifelten Ausweg, Kampfflugzeuge als bemannte Bomben gegen die feindlichen Schiffe einzusetzen. Dabei kamen mehr als 3000 japanische Flieger ums Leben.

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Den Begriff Kamikaze, der so viel wie „Sturm der Götter“ bedeutet, hatte man ganz bewusst als Rückgriff auf eine 700 Jahre alte Geschichte gewählt. Im 13. Jahrhundert erreichte das Mongolenreich seine größte territoriale Ausdehnung, dessen Grenzen erstreckten sich von Südostasien bis nach Osteuropa. Der Herrscher dieses Riesenimperiums, Kublai Khan, Enkel des legendären Reiterführers Dschingis Khan, verfolgte große Pläne. So wollte er auch die japanischen Inseln erobern. „Kublais Ruf als Heerführer haftet der Makel an, bei der Ausdehnung des Reiches zu ehrgeizige Ziele verfolgt zu haben“, urteilt der Militärhistoriker Jeremy Black.

Als Bewohner der zentralasiatischen Steppen verstanden die Mongolen zwar nichts von Seefahrt – umso mehr aber die Fischer und Matrosen aus den unterworfenen Gebieten in China und Korea. Japan schien eine verhältnismäßig leichte Beute, denn das Land war geschwächt durch Kriege großer Feudalherren untereinander.

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Der Kaiser (Tenno) führte nur noch ein Marionettendasein. Im 12. Jahrhundert ging seine Macht an Shogune (Feldherren) über. Diese Shogun-Würde sicherte sich seit 1185 die Kamakura-Familie. Sie verstand es jedoch nicht, ihre Position zu festigen, und so sank auch das Shogunat bald zum Schattentitel herab.

An seine Stelle trat der Shikken (leitender Minister), ein Amt, das seit 1200 die Familie Hojo erblich bekleidete, ohne freilich das Land dauerhaft befrieden zu können. Seit 1268 amtierte Hojo Tokimune als Shikken, ein Glücksfall für Japan. Er zählte zwar erst 17 Jahre, zeichnete sich aber durch Mut und Entschlossenheit aus.

Beides war bitter nötig, denn vor Japans Küsten braute sich 1274 eine tödliche Gefahr zusammen. Kublai Khan hatte im Süden Koreas eine gewaltige Flotte versammelt, die Rede ist von 700 Einheiten. Sie bestand hauptsächlich aus chinesischen Dschunken. Diese besaßen Bambusmasten und um 360 Grad drehbare Segel aus Reisstrohmatten, die wie Jalousien aussahen.

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Es gab den größeren nordchinesischen Typ Hung-tu mit fünf Masten und hoch aufragendem Heck und den kleineren Typ der kantonesischen Dschunke mit zwei bis drei Masten. Solche Schiffe waren äußerst seetüchtig, denn sie verkehrten normalerweise auf der Handelsroute zwischen Gelbem und Südchinesischem Meer mitten durch eine gefährliche Monsunzone.

Wegen ihres großen Tiefgangs benötigten sie ausgebaute Häfen. Anders die koreanischen Flachschiffe, „Schildkröten“ genannt, die von Ruderern angetrieben wurden und durch eine starke Panzerung nahezu unverwundbar waren, aber schon bei mittlerem Seegang zu kentern drohten.

Diese Flotte segelte im Sommer 1274 unter dem Kommando des koreanischen Admirals Hong Tagu los, eroberte ohne Mühe die vorgeschobenen Inseln Tsushima und Ikishima. Schließlich landete sie in der Hakata-Bucht auf der japanischen Südinsel Kyushu. Mit einer Truppe von Samurai-Kriegern zog ihnen Hojo Tokimune entgegen.

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Er gab die Parole „Katsu!“ (Sieg) aus – angesichts des Kräfteverhältnisses eine sehr kühne Losung. Bei den Samurai handelte es sich um ritterliche Einzelkämpfer zu Pferd. Sie waren gewohnt, mit Bogen oder Lanze Mann gegen Mann anzutreten, während das Fußvolk (Genin) meist nur Transport- und Hilfsdienste übernahm.

Anders die kriegserprobten Mongolen. Sie führten kollektive Reiterattacken durch, gingen schnell an den Feind, schossen ihre Bögen ab, zogen sich ebenso rasch zurück und zermürbten so den Gegner. Ihre kleine, aber sehr disziplinierte Infanterie griff in geschlossenen Formationen an und konnte mit langen Speeren die Samurai erfolgreich abwehren.

Tokimunes Krieger erlitten bereits am ersten Tag schwere Verluste. Dabei handelte es sich nur um ein Gefecht mit einer Vorhut. Am Abend zogen sich die Mongolen wieder auf ihre Schiffe zurück, um am folgenden Tag den Hauptangriff zu beginnen. Doch während der Nacht brach ein heftiger Sturm los, der fast die Hälfte der Invasionsflotte zum Kentern brachte.

Mongolen-Sturm: So rettete Kamikaze Japan vor dem Untergang - WELT (3)

Die Mongolen mussten heimsegeln, und zum ersten Mal sprach man in Japan von einem göttlichen Sturm (Kamikaze), der das Land gerettet habe. Kublai Khan fand sich mit dieser Schlappe nie ab. Nachdem seine Heere weitere Teile Südostasiens (das heutige Vietnam) erobert hatten, unternahm er 1281 einen erneuten Vorstoß nach Japan.

Im Juni versammelten sich 900 Schiffe in Korea. Sie waren mit 17.000 Seeleuten bemannt und transportierten 25.000 Soldaten. Gleichzeitig wurde im Süden an der Mündung des Jangtse-Flusses eine weitere Streitmacht von 3500 Schiffen und fast 100.000 Mann zusammengezogen.

Die aus Korea kommende Flotte, wieder von Hong Tagu befehligt, kam am 21. Juni in der Hakata-Bucht an, einige Kilometer nördlich des Landungspunktes von 1274. Die südliche Flotte hingegen blieb aus. Chinesische Hafenarbeiter weigerten sich, die Schiffe der unbeliebten Eroberer zu beladen – eine der ersten Streikaktionen in der Geschichte.

Zwei ganze Tage wütete der Sturm

Hong Tagu musste mit weiteren Schwierigkeiten kämpfen, denn die Japaner hatten in der Bucht seit Jahren Verteidigungswälle mit hölzernen Wachtürmen errichtet. Die Angriffe rannten sich daran fest, und nachdem die Samurai sich nachts mehrfach auf die feindlichen Schiffe geschlichen und dort mit ihren Schwertern furchtbar gewütet hatten, zogen sich die Mongolen zur Insel Tsushima zurück, wo sie auf die südliche Flotte warteten.

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Diese traf am 16. Juli ein. Vier Wochen später begann die Invasion gegen das japanische Kernland. Als die Flotte am 15. August 1281 die Straße von Tsushima durchquerte, raste über den Pazifik ein Taifun von gigantischen Ausmaßen heran. Er dauerte zwei Tage und traf die Schiffe der Invasoren mit voller Wucht.

Viele dieser Einheiten waren nur chinesische Flussboote, die man einigermaßen seetauglich gemacht hatte, die aber einem solchen Sturm hilflos ausgeliefert waren. Von mehr als 4500 Schiffen sollen nur 200 das Unwetter überstanden haben. 80 Prozent aller Soldaten und Seeleute ertranken oder wurden an den Küsten von Samurai niedergemacht.

Nach dieser Katastrophe verzichtete Kublai Khan auf weitere Feldzüge zur See. Wieder hatte der göttliche Wind zugeschlagen. Dieses Ereignis grub sich tief in das kollektive Bewusstsein der Japaner ein. Es entstand der Mythos, dass ihre Heimat als auserwähltes Land „von den Göttern geschützt“ sei. Wenn eine feindliche Macht versuche, Japan zu erobern, dann würde ein göttlicher Sturm, der Kamikaze, diesen Gegner hinwegfegen.

Doch gab es diese legendären Taifune wirklich und konnten sie so massive Schäden bei den Invasoren hervorrufen? Wissenschaftler der Universität von Massachusetts untersuchten 2014 Sedimentbohrkerne aus einem küstennahen See auf der Insel Kyushu. Dieser See befindet sich nahe der Bucht, vor der einst die Flotte Kublai Khans gesunken sein soll.

In dem Teilstück des späten 13. Jahrhunderts fanden die Forscher Indizien für zwei heftige Stürme, nämlich ungewöhnlich viele Relikte von Meeresbewohnern und marine Sedimente, ein deutliches Zeichen dafür, dass ein Taifun heftige Überschwemmungen verursacht hatte, die Meerwasser bis in den See spülten. Taifune und Tsunamis, die seit jeher die japanischen Inseln bedrohen, hatten sich in diesem Fall als mächtige Verbündete erwiesen.

Jan von Flocken ist Journalist und Historiker und hat zahlreiche Bücher, darunter „Geschichten zur Geschichte“ sowie zur Militärgeschichte, veröffentlicht. Er lebt bei Berlin.

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